Bauwerksmonitoring mit Fokus auf Multi-Sensorik und Fusion offener Daten

von Ingo Neumann, Jens-André Paffenholz, Jürgen Rüffer und Jannes Wübbena

Bauwerksmonitoring mit Fokus auf Multi-Sensorik und Fusion offener Daten

Das hier vorgestellte Forschungsprojekt zum Bauwerksmonitoring wird gefördert vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr über die Förderlinie 1 von mFUND als erweiterte Projektstudie im Verbund mit drei Partnern der ALLSAT.

Projektbeteiligte sind neben der ALLSAT GmbH die Firma Geo++ GmbH in Garbsen, das Geodätische Institut der Leibniz Universität Hannover unter der Leitung von Professor Dr.-Ing. Ingo Neumann und das Institute of GeoEngineering der TU Clausthal unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Jens-André Paffenholz.

Als assoziierte Partner sind die Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) in Koblenz sowie die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV), hier die WSA Mittellandkanal und Elbe-Seitenkanal in Minden an dem Projekt beteiligt und stellen das Untersuchungsobjekt sowie eigene Messdaten zur Verfügung.

Darüber hinaus sind das Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung (DZSF) beim Eisenbahnbundesamt sowie das Vermessungsamt der Stadt Essen und das Austrian Institute for Technology (AIT) in Wien begleitend aktiv.

Ziel dieses Projekts mit dem Acronym „OpenData4InfMon“

Open Data for Infrastructur Monitoring

Die Betriebssicherheit alternder Infrastruktur lässt sich aktuell nur mit einem hohen Aufwand sicherstellen. Wie können Verformungen und Schäden an Straßen, Schienen und Wasserwegen frühzeitig und kostengünstiger detektiert und digital dargestellt werden?

Ausgangsproblem und Entstehung

Alterung, Materialermüdung und langsam, auch klima-bedingt, verlaufende Bodenbewegungen schädigen Brückenbauwerke und andere wichtige Infrastrukturen. Das Monitoring dieser Deformationen ist derzeit sehr kostenintensiv und kommt daher in den meisten Fällen erst reaktiv zum Einsatz, also zu einem Zeitpunkt, an dem bereits signifikante Schädigungen aufgetreten sind.

Zielgruppen und mögliche Anwender bzw. Nutzer

  • die Bundesanstalt für Gewässerkunde
  • das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Mittellandkanal / Elbe-Seitenkanal (hier: WSA Minden)
  • das Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung (DZSF) beim Eisenbahnbundesamt
  • das Amt für Geoinformation, Vermessung und Kataster der Stadt Essen
  • das Austrian Institute for Technology (AIT)
  • Eigentümer und Betreiber kritischer Infrastrukturen
  • das BMDV-Expertennetzwerk

Erwartete Wirkungen und Ergebnisse des Projekts

  • Nutzbarer Zugriff auf OpenData-Quellen und Bereitstellung auf OpenData Plattformen
  • Trennung lokaler Bewegungen von regionalen Bewegungen der Erdoberfläche
  • Verbesserte Aussagen über bauwerksschädigende Bewegungen (Senkungen, Hebungen, Kippungen, Rutschungen)
  • Genauigkeiten im Bereich von 1-2 mm Bewegungsraten/ Jahr in 3 Koordinaten-Richtungen
  • Präventiver Monitoring-Einsatz in Kombination mit OpenData Quellen
  • Mehrwerte durch Kombination unterschiedlicher Sensorik
  • Kosteneffizienz durch Nutzung von Low-cost Sensorik

Das Untersuchungsobjekt:

Die alte Brücke des Wasserstraßenkreuzes Minden an der Kreuzung von Mittellandkanal und Weser

  • Kanal mit Wasser über 400 m langen Trogbrücken, über die Weser geführt
  • Alte Kanalbrücke 370 m
  • 8x Dreigelenkbögen – 2x Strombögen (50 m) und 6x Flutbögen (32 m)
  • Baujahr: Flutbögen – 1914, Strombögen – 1914, erneuert 1949
BAW_Bundesanstalt für Wasserbau, CC BY 2.0, BAW_Bundesanstalt für Wasserbau, via Wikimedia Commons

Beiträge der Projektpartner zum Forschungsprojekt

ALLSAT GmbH:

  • Abstimmung und Definition der Anforderungen für das Untersuchungsbauwerk
  • Auswahl, Installation und Betrieb lokaler Sensorik an Infrastrukturbauwerken
  • Integration von Open Data Quellen (SAR Copernicus und GNSS von BKG und SAPOS) mit Daten/Ergebnissen lokal installierter Sensorik
  • Entwicklung eines automatisierten Post-Processing ausgesuchter Datenquellen, insb. lokaler Sensorik
  • Entwicklung und Abstimmung von Ergebnisdarstellungen (Visualisierung der Ergebnisse) für Entscheider und Interessierte (web-basiert und mit Zugangsberechtigung im erweiterten GLOMON-Portal)
  • Entwicklung von Vermarktungsstrategien
  • Verknüpfung von GNSS und SAR über Doppelcorner-Reflektor DCR600
    • SAR – flächenhafte Erfassung
    • GNSS – punktuelle Erfassung
Bauwerksmonitoring mit Fokus auf Multi-Sensorik
Abbildung: Doppelcorner Reflektor DCR600

Für diese Verknüpfung über den DCR600 wurden zwei Standorte ausgewählt: ein Standort auf der Brücke im Untersuchungsbereich möglicher Deformationen und ein zweiter Standort außerhalb des Brückenbauwerks in ca. 500m Entfernung in einem vermutlich stabilen Bereich.

Bauwerksmonitoring mit Fokus auf Multi-Sensorik

Beiträge der Partner Geo++ GmbH, Leibniz Universität (LUH), TU Clausthal (TUC)

Geo++ – GNSS-Monitoring des Bauwerks

Status Quo im GNSS-Deformationsmonitoring:

  • mm-Genauigkeiten, aber
  • große Antennen (Choke-Ring, ~40 cm Durchmesser)
  • aufwändige Installation an geeigneten Standorten
  • Referenzstation in unmittelbarer Umgebung notwendig

-> Nicht effektiv skalierbar

GNSS-Ansatz für „OpenData4InfMon“:

  • mm-Genauigkeiten mit kleinen Massenmarkt-Antennen
  • neuartige Auswertealgorithmen für gestörte Empfangsumgebungen

-> Untersuchungen in einer Demonstrator-Umgebung mit Abschattungen

Prototyp-Sensoren und Antennen:

  • u-blox F9P und ANN-MB-00
    • Septentrio Mosaic Empfänger und Tallysman TW7972
    • jeweils mit 12cm Durchmesser Doppel-Adapterplatten und 3 Bohrungen ins Bauwerk

Die größten erwarteten Probleme mit dieser Low-Cost-Instrumentierung sind unvermeidbare Signal-Abschattungen sowie Beugungs- und Mehrwegeeffekte.

Abbildung 5


Schematisch stellen die Abbildungen 5 und 6 diese störenden Effekte am Beispiel des u-blox-Empfangssystems dar.

Bauwerksmonitoring mit Fokus auf Multi-Sensorik
Abbildung 6

Was bedeutet das für die erzielbare Genauigkeit mit einem 1-Frequenz-Empfangssystem in dieser Umgebung?

Selbst unter idealen Bedingungen Einzelepochenlösungen

  • Einzelepochenlösungen
  • GPS L1 & Gal E1
  • Phasenmehrdeutigkeiten gelöst
  • Keine weiteren Fehlerquellen
  • Kein Empfängerrauschen

Selbst unter idealen Bedingungen

  • Einzelepochenlösungen
  • GPS L1 & Gal E1
  • Phasenmehrdeutigkeiten gelöst
  • Keine weiteren Fehlerquellen
  • Kein Empfängerrauschen

ergibt eine Simulation für diese Empfangsumgebung die folgende Genauigkeit:

Abbildung 7

Der Mehrwegeeinfluss muss für mm-Genauigkeiten in-situ kalibriert und kompensiert werden.

Erste Ergebnisse der vorliegenden Konfiguration liefern folgende Genauigkeit über verschiedene Beobachtungszeiträume:

Abbildung 8

Parallel werden verschiedene Demonstrator-Szenarien auf dem Firmengebäude bei Geo++ über längere Zeiträume untersucht (s. Abbildungen 9 – 12), um Erkenntnisse für eine erfolgreiche Modellierung unterschiedlicher starker Störeinflüsse mit der gleichen Empfangsausrüstung zu bekommen.

Abbildung 9
Abbildung 10
Abbildung 11
Abbildung 12

LUH und TUC – Modellierung und Qualitätssicherung der SAR-Daten

Für die Beurteilung der Infrastrukturbauwerke ist es von besonderer Bedeutung, dass die relativen Bewegungen zwischen der Umgebung und dem Bauwerk selber detektiert und quantifiziert werden können.

Die TU Clausthal und die Leibniz Universität Hannover beschäftigen sich aus diesem Grund mit der Modellierung von Satellitendaten für die flächenhafte Beschreibung der Bewegungen in der Umgebung der Bauwerke. Dafür werden insbesondere auch die LoD2-Gebäudemodelle aus OpenData-Quellen genutzt.

Herausforderungen

  • Die Sentinel-Daten kommen mit Datenlücken und sind kontaminiert mit Ausreißern
  • Validierung der Untersuchungs-Ansätze (auch am Objekt)

Hierfür wird Maschinelles Lernen (KI) zur Klassifizierung der PS-Punkte eingesetzt, insbesondere durch

  • Robuste zeitliche Analyse von PS-Zeitreihen (Omidalizarandi et al. 2023)
  • Schätzung der Parameter von deterministischen, stochastischen und Korrelationsmodellen
  • Definition der unabhängigen Variablen als [‘X’, ‘Y’, ‘Z’, ‘velocity’, ‘1σ’, ‘AR(1)’, ‘skewness’, ‘Kurtosis’, ‘R2’, ‘coherence’] von jeder PS-Zeitreihe
  • PS-Klassifizierung auf der Grundlage des LoD2-Gebäudemodells
  • Durchführung von XGBoost unter Berücksichtigung von 70% Trainingsdaten und 30% Testdaten.

Dafür sollen insbesondere die frei zugänglichen Radardaten der Sentinel-Satelliten (als wesentliche OpenData-Quelle) verwendet werden. Die wesentlichen Schritte beinhalten:

  • Auswertung der SAR-Daten und Ableitung der PSI-Punkte zur Modellierung und Qualitätssicherung (siehe Abbildung 13)
  • Klassifizierung der InSAR-Daten von Sentinel-1 (Gebäude, Straßen, Boden, etc.) z.B. mit Nutzung von frei verfügbaren LoD2-Gebäudemodellen
  • Qualitätsbeschreibung der punktuellen Zeitreihen mittels Zeitreihenanalyse
  • Bereinigung von Ausreißern
  • Flächenhafte Modellierung der Daten in der Umgebung der Bauwerke zur Qualitätssteigerung und für die Erhöhung der Zuverlässigkeit
Abb. 13: Das Bild zeigt ein Digitales Orthophoto mit farbigen Punkten, die PSI-Messungen darstellen. Die Messungen zeigen die mittlere Verschiebungsgeschwindigkeit in mm pro Jahr und variieren von -13 bis +8 mm/J, wobei die meisten Werte zwischen -1 und +1 mm/J liegen. Die gelb markierten Dreiecke sind DCR Light, DCRB und DCRS.

Insbesondere für die Klassifizierung und auch für die Zeitreihenanalyse kommen dabei Ansätze der künstlichen Intelligenz zum Einsatz.

Im Ergebnis steht eine raum-zeitliche Modellierung der Satellitendaten zur Verfügung. Im Zusammenspiel mit den GNSS-Analysen von ALLSAT und Geo++ kann so das relative Bewegungsverhalten der Bauwerke in der Nachbarschaft beschrieben werden.

Abschließend erfolgen

  • eine Verifikationen am Objekt
  • und die Erstellung eines Dashboards zur Visualisierung der Ergebnisse (siehe Abbildung 14)
Abb. 14: Das Bild zeigt ein Dashboard, das PSI-Punkte in einem Radius von 30m um die DCRs in grüner Farbe auf einer OSM-Karte darstellt. Im unteren Teil des Dashboards wird ein Diagramm angezeigt, das die Verschiebung verschiedener PSI-Punkte im Verlauf der Zeit visualisiert. Die X-Achse zeigt die Zeit, während die Y-Achse die Verschiebung in Millimetern darstellt.

Projektausblick

Das Entwicklungsprojekt liefert bereits vielversprechende Zwischenergebnisse für InSAR- und GNSS-Auswertungen. Bis zum Ende der Projektlaufzeit Ende August 2024 blieb nur noch wenig Zeit für notwendige Weiterentwicklungen, deren Fortsetzung jedoch in anderem und ggf. erweitertem Rahmen geplant ist.

Herzlichen Dank an die Fördergeber BMDV und mFUND.

Gern stehen wir Ihnen bei Fragen zur Verfügung.


IHR ANSPRECHPARTNER

Jürgen Rüffer

Tel.: (0511) 30399-0
juergen.rueffer@allsat.de